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China

Insgesamt zwei Jahre verbrachte ich von 2003-2005 in China am Sichuan Fine Arts Institute, um dort chinesische Malerei zu studieren. Neugier gepaart mit Optimismus hatten mich in dieses Land gebracht, dessen Faszination mich bis zum letzten Tag nicht losließ.

Über meine Zeit in China und die chinesische Tuschmalerei ... MEHR LESEN

„Berge von Wassern
tauchen auf aus deinem Pinsel
in deinem Herzen.“
Kazuaki Tanahashi

 

Insgesamt zwei Jahre verbrachte ich von 2003-2005 in China am Sichuan Fine Arts Institute, um dort chinesische Malerei zu studieren. Neugier und Naivität, gepaart mit Optimismus hatten mich in dieses Land gebracht, dessen Faszination mich bis zum letzten Tag nicht losließ. Bereits in der Kunsthochschule Kassel verdanke ich meinem Zeichenlehrer Herrn Paulus erste Berührungspunkte mit ostasiatischen Philosophien. Nach Herrn Paulus bedeutete ein ungewolltes Mißlingen einer naturgetreuen, zeichnerischen Wiedergabe durchaus keinen Fehler, sondern einen uns spontan geschenkten Gewinn, dem Wertschätzung gebührte. Denn so, wie an einem Baum alle Blattformen der gleichen Idee folgen, ist doch keines wie das andere, jedes hat eine „fehlerhafte“ Abweichung vom Ideal. Ein Ideal kann man zwar versuchen, bewußt und kontrolliert nachzuzeichen … die lebendige, fehlerhafte Abweichung entsteht aber nur durch Spontanität und freies Zulassen.

„Folge deinem Herzen ohne Vorbehalt
und dein Pinsel wird angeregt sein.
Schreiben und Malen dienen einem einzigen Ziele,
der Offenbarung der angeborenen Güte.“
Tang Hou

Später in China hörte ich ähnliche Worte von Herrn Mei, meinem dortigen Lehrer. Ganz im Gegensatz zu meiner westlichen Erziehung bestand er darauf, den Kopf, die Kontrolle aufzugeben und ganz aus dem Herzen zu malen. Fehler bestünden nicht in einer falschen Wiedergabe der Dinge, sondern darin, daß das Qi nicht frei fließe und ich deshalb keine Kraft in der Pinselführung hätte….damit konnte ich natürlich zu Beginn herzlich wenig anfangen. Meine Mitstudenten rieten mir dringend, zuerst Laozi´s Daodejing und Verse des Konfuzius zu lesen und mich in der Kalligrafie zu üben, bevor ich mich der Malerei zuwenden könnte.

„In der europäischen Tradition werden Kunstwerke häufig in Verbindung gebracht mit Kampf, Leiden und Tragödien. In Ostasien gelten schöpferische Menschen als vollkommen entspannt.“
Kazuaki Tanahashi

Mir wurde immer mehr bewußt, wie anders die chinesische Kultur der unsrigen ist: Im Westen sehen wir uns im Mittelpunkt der Schöpfung. Wir stehen der Welt neugierig gegenüber, erforschen und entdecken sie immer weiter und verändern sie kreativ. In China dagegen sieht sich der Mensch (zumindest traditionell) nicht als Herr und Entdecker der Erscheinungen, sondern ist immer bemüht, sich harmonisch in das gegebene Universum einzufügen. Malen bedeutet dabei, eine liebevolle Einstellung zur Umwelt zu gewinnen, der anzugehören nach chinesischem Verständnis die einzige Sicherheit ist.

Diese Idee entstand aus der Ur-Religion, oder eher Philosophie Chinas, dem Daoismus. Im Zentrum des Daoismus steht das Dao, der unfassbare und unbenennbare Urquell alles Seins, eine substantielle, ordnende Kraft, die allem zugrunde liegt. Aus diesem Urquell entstand die sich immer verändernde und dualistische Welt des Yin und Yang, Nacht und Tag, Berg und Tal, usw. Ohne äußere Einwirkung verwirklicht jedes Wesen natürlicherweise und spontan seinen eigenen Weg und bringt sich mit dem Dao in Einklang.

„Nur in einem ruhigen Teich spiegelt sich das Licht der Sterne.“
Konfuzius

Glückliches Beisammensein ist nur dann gesichert, wenn sich die Welt in einem harmonischen Zustand mit dem Dao befindet. Höchste Verantwortung dafür trägt der Mensch, er muß Wege finden, sich und seine Gesellschaft harmonisch in das gegebene Universum einfügen. Da das Dao für den Menschen nicht benennbar oder verstandesgemäß zu erfassen ist, kann er es nicht besitzen oder kontrollieren. Nur durch Natürlichkeit innerer Ruhe und Spontanität zeigt und entfaltet sich die wunderbare Ordnung der Dinge.

„Wir sollten heiter sein, wenn wir am wenigsten inspiriert sind, denn wir können am kreativsten sein, wenn wir nichts in der Hand und nichts im Sinn haben.“
Kazuaki Tanahashi

Aus diesem Hintergrund entstand die Philosophie des Wu-wei, des „Nicht-handelns“. Es erscheint als sinnlos, die Energie in einem stetig verstandesgeprägten Willensakt, also des Eingreifens in das natürliche Wirken des Dao, zu verschwenden. Das Tun soll folglich intuitiv und dem Lauf der Dinge angepasst sein. Deshalb ist im Sinne der Hingabe an das Dao die Tuschmalerei durch gefühlte Intuition, Improvisation, Willkürlichkeit und unerwarteten Effekt charakterisiert.

„Geist und Seele müssen im Einklang stehen, Geist und Seele völlig ruhig und gelassen sein.“
1679 veröffentlich im Malerei-Lehrbuch „Senfkorngarten“

Die chinesische Malerei scheint uns zuerst in einem weitgehend zweckfreien Raum angesiedelt zu sein. Sie sei nichts als eine freie Skizze, ist aber ein Missverständnis. Die Malerei dient, wie übrigens alle chinesischen Künste, der inneren Einkehr, Entspannung und der Kultivierung des Geistes bzw. Meditation.

„Alle äußeren Errungenschaften und Dinge sind begrenzt
und endlich, nur das innere, geistige Wesen ist Anfang,
Wurzel, Grenzenlosigkeit und Unendlichkeit und nur letzteres
ermöglicht ersteres.“
Li Ze Hou

Um den Betrachter nicht durch Äußerlichkeiten von seiner selbst abzulenken, verzichten die Maler oft auf naturgetreue Darstellungen oder gar eine schöpferische Kraft. Ein übermäßiger Gebrauch von Farbe, Körperhaftigkeit, Licht oder Schatten wird eher vermieden. Stattdessen heben sie in ihren Bildern oft eine Einfachheit und Zweckfreiheit hervor, die beinahe an Dilletantismus erinnert, aber wortwörtlich dem Betrachter einen einfachen und reinen Geist vermitteln soll. Das Zurückführen auf das Wesentliche ist das Herz der Malerei.

„Was am meisten zählt, ist die Qualität einer Linie – das heißt wie tief, wie stark oder wie ehrlich sie ist. Ob sie gut oder ungewöhnlich aussieht, hat keinerlei Bedeutung.“ Kazuaki Tanahashi

Je sparsamer dabei die Mittel der Darstellung, desto bedeutender und hintergründiger wird der Ausdruck der Linie. Die Reinheit und Kraft des natürlichen, d.h. mühelosen Pinselstrichs zu kultivieren ist daher die oberste Priorität für den Maler. Aus den Linien spricht dann etwas, was nicht an den äußerlichen Dingen sichtbar wird, sondern was in und hinter ihnen steht, nämlich das subjektiv empfundene Wesen der Dinge.

Auf dem äußerst empfindlichen Reispapier, das die feinsten Nuancen wiedergeben kann, läßt sich jeder Pinselstrich nur einmal setzen. Der Pinsel selbst ist sehr weich, Papier und Pinsel reagieren auf leichteste Druck- und Geschwindigkeitsveränderung. In der östlichen Tradition darf der Pinselstrich niemals ausgebessert, manipuliert oder gar weiß übermalt werden. Ein Strich ist also sozusagen eine Sache auf „Leben und Tod“.

„Ein Gemälde ohne negativen Raum ist wie Musik ohne Stille. Damit in der Musik Intensität entstehen kann, muß das Stille, Lautlose besonders gut ausgeführt werden: ein Moment der Stille kann der Höhepunkt einer Aufführung sein.“ Kazuaki Tanahashi

Was die Komposition betrifft, besteht der markante Unterschied zwischen der Chinesischen Malerei und der Europäischen Malerei darin, dass chinesische Maler pflegen, leere Räume in ihren Bildern freizulassen. Diese leeren Räume sind keine Lücken. Sie können Berge umhüllender Dunst, Morgennebel über einem Fluss, der Sonnen- oder Mondschein oder nichts Erkennbares sein. Sie vermitteln einen poetischen Geschmack, der dem Betrachter Spielraum für Vorstellungen läßt.

Mit der Öffnung Chinas dem Westen gegenüber hat natürlich auch die westliche Malerei in China Einzug gehalten. Die Chinesen experimentieren mit diesen neuen Einflüssen und integrieren das neue Gedankengut auf ihre Weise.

Abschließend noch ein Zitat von Jan Zaremba, der einzige Deutsche, der den japanischen Titel „Master of Sumi-E“ trägt:

„I do not strive to be unique; my job is to participate.“
Ich bin nicht bestrebt, einzigartig zu sein,
meine Aufgabe ist es, am Geschehen teilzunehmen.

 

 

"Felsenfluss" . Papercut mixed media . 10x17cm . 2024
"Felsenfluss" . Papercut mixed media . 10x17cm . 2024
"Felsenfluss" . Papercut mixed media . 10x17cm . 2024
"Felsenfluss" . Papercut mixed media . 10x17cm . 2024
"Schnee auf Wellen" . Papercut, mixed media . 50x50cm . 2014
"Nachtsee" . Papercut, mixed media . 50x50cm . 2016